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Beruf und Berufung – Richterberuf

Nach Abschluss der volljuristischen Ausbildung haben die Assessoren [Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird nicht in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt alle anderen Formen gleichberechtigt ein.] die Wahl zwischen vielen juristischen Berufen. Im Folgenden möchte ich Sie für den Richterberuf begeistern.

Nach Abschluss meines Referendariats habe ich direkt beim Land Hessen als Richterin auf Probe in der ordentlichen Gerichtsbarkeit begonnen. Entscheidend waren meine Erfahrungen aus dem Referendariat: Die Stationen bei Gericht haben mir einen guten Einblick vermittelt und die richterliche Tätigkeit – zu entscheiden, wie es meiner juristischen Überzeugung entspricht, objektiv und eigenverantwortlich – war das, was ich machen wollte. Diese Entscheidung habe ich bis heute nicht bereut. Meine Arbeit als Richterin habe ich unterbrochen, um mich im Rahmen einer Abordnung im Hessischen Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat in der Nachwuchsgewinnung zu engagieren.

Zwar kann sich die Vergütung in der Justiz nicht mit der in einer Großkanzlei messen. Auch gibt es keine Obstkörbe und Offsites, stattdessen viele Akten und wenig Glamour – warum also sollten Sie in der Justiz anfangen? Das Kernstück unserer Arbeit ist die richterliche Unabhängigkeit. Ein Richter ist allein Beruf und Berufung – Richterberuf an Recht und Gesetz gebunden. Es gibt keinen anderen Beruf, in dem Sie von Anfang an solche Freiheit genießen. Als Richter haben Sie die Möglichkeit, unbeeinflusst und eigenverantwortlich „das letzte Wort zu sprechen“. Nur das im Instanzenzug übergeordnete Gericht darf Ihren Umgang mit Sachverhalt und Rechtslage würdigen. Es gibt keine festen Arbeitszeiten und auch keine Regeln darüber, wo man arbeitet. Arbeit im Home Office ist durch die schrittweise Einführung der elektronischen Akte problemlos möglich.

Damit geht natürlich ein hohes Maß an Verantwortung einher, und das bedeutet gerade zu Beginn viel Arbeit. Aber wie in jeder Tätigkeit gewinnt man mit Zeit und Erfahrung Routine. Die Arbeit erfüllt einen mit Zufriedenheit, denn ein Richter leistet einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft. Richter sind das Rückgrat des Rechtsstaats und ihre Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die hinter den Akten stehenden Menschen: Hat der Angeklagte die Tat begangen? Wie ist er dafür zu bestrafen? War die Kündigung des Mieters rechtmäßig? Muss das Kind aus der Familie genommen werden? Erhält der Flüchtling Asyl? Diese Entscheidungen fordern Verantwortungsbewusstsein, aber auch Einfühlungsvermögen.

Dabei muss niemand Angst haben, am Anfang „ins kalte Wasser“ geworfen zu wer- den. Während der ersten drei bis sechs Monate werden Richter in Hessen durch ein Mentorensystem unterstützt. Außerdem gibt es viele Fortbildungsangebote, auch speziell für Proberichter, sowohl der einzelnen Gerichte als auch der Hessischen Justizakademie, der Deutschen Richterakademie und des European Judicial Training Network.

Als Richter wird es nicht langweilig: Zum einen ist jeder Fall anders, zum anderen können Richter in vielen unterschiedlichen Bereichen tätig sein, und das ohne Wechsel des Arbeitgebers und oft ohne Ortswechsel. Beispielsweise habe ich meine Richterlaufbahn beim Landgericht Frankfurt geteilt in einer Jugendstrafkammer und einer Zivilbeschwerdekammer begonnen, dann war ich in einer Zivilkammer für Amts- und Arzthaftungsrecht, anschließend mehrere Jahre in einer Wirtschaftsstrafkammer, bis ich in eine Zivilberufungskammer wechselte. Solche Wechsel bieten unersetzbare Erfahrungen, um eigene Interessen und Stärken kennenzulernen.

Neben der rechtsprechenden Tätigkeit können Richter interessante Zusatzaufgaben übernehmen, etwa als Pressesprecher eines Gerichts oder im Rahmen der den Präsidenten der Land- und der Oberlandesgerichte obliegenden Notaraufsicht. Richter können sich in der Ausbildung engagieren und praktische Studienzeiten, Arbeitsgemeinschaften und Klausurenkurse leiten und so junge Menschen voranbringen.

Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, durch Abordnungen an andere Gerichte, Behörden oder Ministerien spannende Erfahrungen zu sammeln. Diese Abordnungsmöglichkeiten bestehen nicht nur national, etwa zu den obersten Gerichtshöfen, zum Bundesverfassungsgericht, zur Bundesanwaltschaft oder zum Bundesministerium für Justiz, sondern auch europaweit, etwa zum Europäischen Gerichtshof, zur EU-Kommission oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Zu den unschlagbaren Vorteilen des öffentlichen Dienstes gehören ein sicherer Arbeitsplatz und damit Planungssicherheit, hervorragende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sehr gute Altersabsicherung und Gesundheitsmanagement. Für die Krankenversicherung beziehen Richter Beihilfe und können sich privat krankenversichern.

Zusammenfassend ist der Richterberuf für Sie interessant, wenn Sie eine abwechslungsreiche, vielseitige und erfüllende juristische Tätigkeit suchen, eine verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen wollen, Eigenorganisation nicht scheuen und gern mit Menschen kommunizieren.

Zur Autorin:
Dr. Ulrike Winter (ulrike.winter@hmdj.hessen.de) ist Richterin am Landgericht Frankfurt und derzeit abgeordnet an das Hessische Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat. Dort befasst sie sich mit der Nachwuchsgewinnung für den richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst.

Karriereplaner - Ausgabe: SoSe 2024